25.03.2020 – „Ich, MUNIN, I.“

Wie es sich für ein echtes österreichisches Ruderboot gehört, bin in Linz, beim „Max, den II.“ auf Kiel gelegt worden. Und zwar für die kühnen „Normannen“ in Klosterneuburg, die mit mir die Ruderwelt, damals ihnen noch unbekannte Gewässer, berudern wollten.

Deshalb stammt auch mein Name aus der nordischen Mythologie. Es handelt sich dabei um den Namen eines der beiden Raben des Gottes Odin. Der sprachliche Ursprung meines Namens liegt in den altnordischen Wörtern munr sowie muna und bedeutet „denken“. Daran habe ich mich im Laufe meines bisherigen Bootslebens öfter erinnert, denn so manche Lebewesen der Gattung „Ruderer“ und andere, die mit mir zu tun hatten, haben mich gedankenlos behandelt. Daher wundert es mich, wenn ich nach 35 Jahren noch immer gesund und rüstig bin.

Doch zurück zu den Erstbefahrungen der Normannen. Ich war dabei in Konkurrenz zu meinem Chef ODIN. Dieser war am Anfang meiner Kariere in seinen besten Jahren, aber später doch schon etwas behäbig und hatte zahlreiche Narben von Grundberührungen. Ich dagegen bin sportlich schlank gebaut, leichter und kann auch ohne Steuermann gefahren werden. In diesem Falle steht der Steuersitz für den Gepäcktransport zur Verfügung – bei mehrtägigen Fahrten eine Notwendigkeit. Außerdem sind Bug und Heckkasten wasserdicht abgedeckt. So kam es, dass ich nicht nur für Tagesfahrten im Verein beliebt war, sondern auch bei mehrtägigen Touren im In- und Ausland.

So erinnere ich mich gerne an die langen Reisen auf

  • der Donau bis Budapest (1992, 2005 und 2010) und weiter bis (Pacs (1992) bzw. Mohacs (2010),
  • der Weichsel von Warschau nach Danzig (1993),
  • der Moldau von Tyn bis Prag (1998  und 2012) und weiter bis Melnik (Mündung in die Elbe) und die Elbe bis Wittenberg (1998),
  • Mincio und Po von Mantua bis Venedig und weiter bis Monfalcone (1996),
  • der Masurischen Seenplatte und weiter über Pisza und Narew zur Weichsel bis Warschau (2003),
  • Donau (ab Regensburg), Altmühl (ab Kehlheim), Rhein-Main-Donau – Kanal bis Bamberg und weiter am Main bis Aschaffenburg (2004),
  • Inn und Donau von Marktl am Inn nach Linz (2007),
  • Fulda (von Kassel) und Weser (von Hann.-Münden) nach Bremen (2007),
  • der Oder von Breslau bis Stettin (2008),
  • Mosoni Duna und Donau von Halaszi nach Budapest (2009),
  • dem Thaya-Stausee Vranov (2011),
  • der Enns von Altenmarkt nach Straning (2013)

und all die vielen kürzeren und längeren Trainings- und Wanderfahrten auf der Donau, unserem „Hausrevier“. Dabei sind schon recht viele Kilometer zusammengekommen.

Das änderte sich plötzlich, als die beiden neuen C-Boote MORA und später FREYA in unsere Bootshalle kamen. Sie sind vor allem bei den Anfängern und Breitensport-Ruderern sehr beliebt, weil sie offen sind (für reichlich Gepäck), wellengängiger (kein Wunder, schließlich sind sie wesentlich jünger als ich) und widerstandsfähiger gegenüber Beschädigungen (siehe è jünger).

So ging mein Dienst bei den „Normannen“ über Jahre hinweg weiter bis zu meiner Degradierung durch MORA und FREYA (siehe oben). Umso mehr freute es mich, als ich im Vorjahr wieder abgestaubt und verladen wurde. Ich wurde einer Mannschaft aus dem Ruderclub Luzern in der Schweiz für eine 4tägige Tour von Linz nach Klosterneuburg zur Verfügung gestellt. Ein schönes Erlebnis stand mir bevor – wie ich meinte. Am ersten Tag ging’s flott und ohne besondere Vorfälle dahin, auch am zweiten mit starkem Rückenwind durch den Strudengau. Aber, oh Schreck, die Wellen wurden immer höher und eine extra starke Bö stellte knapp vor dem geöffneten Schleusentor des Kraftwerkes Ybbs-Persenbeug eine Riesenwelle auf – und mit meiner Mannschaft schwamm ich wieder einmal.

Nach einiger Zeit wurden wir bemerkt und eine umfangreiche Bergeaktion begann. Die Ruderer wurden rasch geborgen und ich war auf einmal allein. Doch halt – die freiwillige Feuerwehr des nächsten Ortes rückte an. Als ich die Florianis aus dem Mühlviertel sah, wurde mir schon mulmig, denn weit und breit war niemand mehr von meiner Besatzung mehr zu sehen. Zuerst versuchten sie, mir die Ruder aus den geschlossenen Schraubdollen zu ziehen. Als sie merkten, dass das nicht ging, hängten sie mich mit meinem vollen Bauch und den Rudern an einen riesigen Kran und es ging in die Höhe. Dabei fasste mich wieder der Wind und ich pendelte gegen die Kaimauer. Der unfaire Kampf endete mit mehrmaligen Schalenbrüchen und in diesem erbärmlichen Zustand landete ich auf der Wiese neben der Schleuse. Ihr ahnt es schon, ich wurde mit wenig Chance auf Heilung wieder einmal zum Bootsdoktor gebracht (er heißt wirklich so, nur mit dem Zusatz DI Georg Friedl).

Na, ja, was soll ich Euch sagen, ein Wunder geschah – die (Schweizer) Versicherung zahlte meine Heilung (an dieser Stelle ist dezenter Applaus angebracht). Die „Normannen“ leisteten sich dazu neue Rollsitze und neue Stemmbretter. Nach einigen Wochen lag ich wieder glücklich und zufrieden in der vertrauten Bootshalle in Klosterneuburg, jugendlicher und schöner als vorher. Jetzt freue ich mich schon auf die neue Rudersaison, in der man mich sicher wieder mehr beachten und öfter aufs Wasser bringen wird.

Fritz Stowasser, April 2020