Die Rose vom Wörthersee – höchst subjektiver Reisebericht einer (persönlichen) Pioniertat

Grundsätzlich bin ich mir sicher, dass der 15jährige Ruderer, der ich einmal war, den 40jährigen Ruderer, der ich heute bin, günstigstenfalls lächerlich gefunden hätte. Schlimmer noch, ich könnte dem ungnädigen Rotzbuben nicht einmal durchgehend widersprechen. Er hätte da einige solid argumentierte Punkte! Umso schöner ist es allerdings, als zum alten Sack gewordener etwas erstmalig zu machen, wodurch nicht nur alten Fähigkeiten nachgetrauert, sondern auch etwas ganz Neues dazugelernt werden kann.

In diesem Fall: Die Rose vom Wörthersee. Eine fast ein bißchen mythische Regatta, 16 Kilometer auf einem riesigen See, Scharen von Italienern, wie man sie sonst ohne Zuhilfenahme von Steinpilzen nicht nach Kärnten zu locken vermag, erstaunlich schnelle Zeiten, Ekatarina Karsten in der historischen Startliste und ein ungarischer Seriensieger, der Jahr für Jahr den Eindruck erweckt, lieber als seinen Fototermin wahrzunehmen würde er im gleichen manischen Tempo wieder zurück nach Velden rudern.

Das Dazulernen beginnt dabei bereits im Vorfeld. Ich reise mit einer Arbeitskollegin an, die beim Albatros einen Schippel Startnummern für die Piraten abholt und danach darauf besteht, mit dem Schiff nach Velden zu fahren. Eine großartige Idee, gibt sie mir doch die Möglichkeit, die theoretische Ideallinie mit einer Streckenbesichtigung abzugleichen. In der Veldener Dämmerung kann ich dann nicht widerstehen und teste noch kurz das Boot – nächste Lernerfahrung. Ingos Speedcoach (danke!) verrät, dass der Wörthersee das wesentlich schnellere Wasser ist als die Kuchelau. Immerhin ein Puzzleteil der Frage nach den irren Zeiten ist gefunden. Dazu die Möglichkeit, mich ein bißchen zu orientieren. Idealerweise erfolgt die erste Kurskorrektur in Dellach, ich lerne, das Heck auf ein gewisses hässliches Hotel der Veldener Bucht “einzuspitzeln” (Fachjargon).

Vor dem Start offenbart mir Vroni Ebert, ihres Zeichens Serienteilnehmerin, dass so ein Langstreckenrennen nicht am Start gewonnen wird. Wer sich zu Beginn zurückhalte, leide auf der zweiten Streckenhälfte weniger, fahre aber die gleiche Zeit. Ein Tipp, den ich ohne jede Idee, wie sich auf dieser Strecke 100% anfühlen, dankbar annehme. Zudem finde ich einen weiteren, rund eine Minute schweren Puzzlestein der schnellen Zeiten. Die im Internet gemessenen, erstaunlich exakten 16km der Ideallinie beginnen real gut 200 bis 300 Meter weiter in Fahrtrichtung. Die bilanzieren hier also nicht nur ihre Landeshypothekenbank eher optimistisch. Währenddessen stellt sich erste Nervosität ein, zwar weniger bei mir, aber den im Sommer neu erworbenen, noch komplett unerfahren Ruderhut macht seine Inkompetenz ziemlich unruhig. Daran haben wir noch zu arbeiten!

Der lernwillige Ruderhut! Foto: Irene RV Normannen

Die erste eigene Lernerfahrung stellt sich an der Startlinie ein. Ein einigermaßen koordiniertes Einordnen antizipierend werde ich von der angewandten Urania-Methode (Seid ihr alle da? Quickstartattentiongo!) doch an unerwartetem Fuß erwischt. Das bringt mich in eine Situation, die in Kombination mit Vronis Tipp doch nicht so komfortabel ist. Bis zur ersten Kurskorrektur sechs Kilometer Schmeißwasser als Schrittmacher einiger Mitruderer, nun ja. Einer von ihnen erzählt mir im Ziel, dass es sehr praktisch war, fast die ganze Strecke “gepaced” zu werden und obendrein rudere ich wirklich angenehm konstant. Bitte Herr Mordhorst, dieses Jahr gerne geschehen. Nächstes Jahr rangel ich an der Startlinie jedenfalls verbissen um jeden Zentimeter, knall 30 Schläge Vollgas obendrauf und dann ist das Schrittmachen ganz Dein Vergnügen! (Und mit einem abgezockten Ruderhut bekommst Du es obendrein zu tun!)

Auf Dellach zufahrend bemerke ich, dass meine Kurspläne im Rennmodus nicht ausführbar sind. Das Heck konstant auf das hässliche Hotel richten – beim hässlichen Hotel angekommen ein paar Schläge Backbord auf – Kurs auf das hässliche Hotel, das heißt das Heck auf das hässliche Hotel am Berg einspitzeln – beim Landspitz vor Krumpendorf dann Steuerbord auf, Heck auf den Pyramidenkogel, aber nicht ganz genau, eher auf das hässliche Hotel, eine gute Landmarke, die sich in der Klagenfurter Bucht ansteuern lässt, ist das weithin sichtbare hässliche Hotel. Etwas müder werdend gehe ich dann leider im Überangebot der Wörtherseearchitektur verloren, eiere zwischen Dellach und Maria Wörth gar kläglich dahin, Bausünden bis zur Orientierungslosigkeit, von hinten kommen erste verrückte Wettkampfruderer angebraust, von vorne machen die gemütlicher fahrenden der Vorgruppen Schmeißwasser. Die Schultern halten mit der Kraft, die die Beine noch haben, nicht wirklich Schritt, zwei Covidjahre mit Radfahren fern jeder Hantel entpuppen sich als nachteilig. Krafttraining – da ist der nächste Puzzlestein! Auch der konstante Gegenwind verbläst schön langsam jeden Grund für gute Laune. Wenigstens profitiere ich von meinen mannigfaltigen technischen Mängeln, wenn die Zahlen am Speedcoach allzu lächerlich sind, fällt mir immer irgendetwas ein, auf das ich mich konzentrieren kann und schon ist die 500er-Zeit wieder deutlich besser. Laut Ingo geht es ab Maria Wörth bergab – auch das ist ein Tipp, der schwer zu glauben, aber richtig ist. Ich rette noch einen heranbrausenden Piraten vor dem Zusammenstoß mit einer monströsen Boje, die dort sonst ganz sicher total sinnvoll ist, beginne irgendwann zwischen Krumpendorf und dem Albatros wieder an die Zukunft zu glauben, überhole einen der Kollegen, die drei Viertel des Rennens in mir einen gutmütigen Schrittmacher hatten und entdecke einen weiteren der vor mir hergetriebenen, der er in den Wellen des Linienschiffs verzweifelt. Ich kann unerwartet mühelos an ihm vorbei rudern, da mich der erstaunlich lernfähige Ruderhut professionell durch die Brandung coacht. Dann sagt ein Lautsprecher meinen Namen, es piepst, 1:15:16,2 , not great, not terrible. Während all dem fahre ich die letzte Bucht in absurd weitem Bogen viel zu sehr aus. Ich hoffe, dass der Ruderhut bis zum nächsten Mal steuern lernt. Falls nicht, nehme ich einfach Kurs auf das hässliche Hotel.

Foto: RV Albatros. Rose-info.at
Richard, Oktober 2022