Prämierter Kurzurlaub am Wörthersee – Spanheimer

Prolog:

Der Name will einfach nicht in meine Ganglien. Störtebeker? Hieß mit Vornamen Klaus, war ein berühmter Seeräuber und Likedeeler und leiht heute dem sehr empfehlenswerten Bier der Stralsunder Braumanufaktur seinen Namen. Doch einem Viererrennens am Wörthersee? Nein. Spandauer? Ein Kriegsverbrechergefängnis als Namenspatron für eine Regatta? Ebenfalls nein.

Schlussendlich findet sich doch noch eine Eselsbrücke: Es ist ein Verschnitt der schönen Begriffe „Spanferkel“ und „Pappenheimer“ – wobei sich „Pappenferkel“ zum Glück nicht unmittelbar aufdrängt. Bleibt letztlich: Spanheimer. Von Velden nach Klagenfurt, die bekannten 16 Kilometer. Da fahren wir mit!

Die nächste Herausforderung liegt im entsprechenden Spirit. Es soll klar sein, dass es bei alten Säcken vorrangig um Tourismus geht, um ein schönes Wochenende am Wörthersee, Indian Summer, türkises Wasser, so Alte-Leute-Kitsch eben. Gleichzeitig will niemand allzu lange arbeiten und es auch nicht übermäßig mühsam haben, das Boot sollte also schon laufen, das Tun, wenn auch nur Vorwand für einen Kurzurlaub, sollte schon Spaß machen. Es geht um nix? Ja – aber am Ende tuts eben doch weh und muss nicht zwingend zach sein. Laut Yvonne kann man mit Heather von der Austria wunderbar Zweier fahren, allerdings fordert diese ganz massiv „Quick at the catch!“ ein, also schnelles Wasserfassen. Der Professor Hautsch ist für mich ein sehr unterhaltsamer Zweierpartner – sofern ich ganz gegen meinen Stil beim Wasserfassen gut vorbereitet bin und nicht herumtrödeln. Das klingt nach genug Gemeinsamkeit, um es zumindest zu versuchen: MX4x. Ende August sitzen vier Leute im Boot, die genügend andere Verpflichtungen haben, die es eben einmal versuchen wollen und die es einfach sein lassen werden, wenn es nicht harmoniert. Fünf Trainingskilometer später ist der Start im Grunde besiegelt, grinsende Gesichter, kindliches Glitzern in den Augen, da geht was. Kurzurlaub gebucht! Nikolaus bringt seine Erfahrung als Coach voll ein, schneidert uns ein Konzept auf den Leib, dass wir das Boot mit eher höherer Frequenz und kurzen, kompakten Wendepunkten im Schlag gut im Laufen halten und uns so muskulär nicht umbringen. Wir diskutieren die Details bei jeder Wende, das wird bisweilen ziemlich akademisch, und messern ganz praktisch jede zweite Länge im Rennplan durch die Kuchelau.

Erster Akt – die Flucht aus der Veldener Bucht:

Velden lädt zum Abreisen ein. Laut, hysterisch, mit pinken GTIs. Mit einer Wasserschishow am Regattaplatz – ihr habt offenkundig keinerlei Idee davon, wie lieb die Ruderer eure Wellen haben. Solcherart in der Realität verwurzelt kann man gleich mit einer Spendenbox für die Nachwuchsarbeit durch die Besucher gehen, immerhin holt man die Veldener Kids von der Straße. Wann wird es endlich Samstag 11:00 – nichts wie weg hier!

Stimmig, dass aus den angestrebten 25 bis 26 Schlägen pro Minute gleich einmal 28 werden. „Dreh dich doch um, du Depp! Wenn du in die Wasserschiinsel fährst, müssen wir hier noch länger bleiben!“, knurrt es über meinem Kopf. Der Ruderhut hat recht – und er muss noch einige Male auf Kurskorrektur bestehen. Am Wörthersee herrscht absolutes Kaiserwetter und da muss man den Außen- oder Innenborder röhren lassen. Leider lässt Lodur als 2000er-Empacher den klassischen Delfinriss wiederaufleben und ist zwar schnell, aber bei Wellen von der Seite nicht unbedingt kursstabil. Doch die Bedingungen sind für alle gleich und so schaffen wir bis zur ersten strategischen Kurskorrektur bei Dellach bereits weitgehend klare Verhältnisse im Feld.

Zweiter Akt – Wörthersee Südufer:

„They’re cheering for us, folks!” – “They”, das sind Heathers drei Töchter. Tim, Heathers Mann, hat die ufernahen Stellen herausgesucht und wir werden lautstark angefeuert. Nicht eingeweiht halte ich das „Normannen! Normannen!“ vom Ufer zu Beginn für eine Warnung – aber siehe da, wir fahren nirgends dagegen, obwohl die Yachthäfen des Südufers genügend Bojen für die eine oder andere Kollision zur Verfügung stellen würden. So oder so, das Boot läuft immer noch. Gelegentlich fällt die Schlagzahl auf unter 28 – das fühlt sich sofort zu kraftlastig an. Nikolaus ruft irgendetwas, das am Bug völlig unverständlich ist, aber es wirkt. Schon halten wir das Boot wieder Schlag für Schlag am Laufen, vom 3er kommt entsprechendes Feedback – „That’s great, keep it up!“ Zwischen Dellach und Maria Wörth taucht ein Boot in meinem Blickfeld auf und wird sukzessive größer – da ist noch jemand vor uns. Bis zur zweiten strategischen Kurskorrektur kurz vor Krumpendorf setzen wir die Schnellstarter gehörig unter Druck.

Dritter Akt – von Krumpendorf ins Ziel:

Den genauen Punkt für die zweite große Kurskorrektur zu erwischen ist Erfahrungssache. Der minimale Weg führt am Nordufer vor Krumpendorf durch viele Bojen. Die kleineren lassen sich überrudern, die riesigen orangen Ballons hingegen nicht, aber die kenne ich noch von der Rose im Vorjahr. Da sind sie ja, samt einem Haufen kleinerer gelber Bojen. Ich finde einen Kurs mittendurch. Zum Vierer vor uns haben wir fast aufgeschlossen, wir hören ihre Kommandos schon deutlich. „Ein alter Kuchelaukapitän wie du sollte eigentlich wissen, dass nur die wenigsten willens und in der Lage sind, ihre Eigenverantwortung wahrzunehmen. Glaubst Du, die rosa Boje da vorne bewegt sich ohne Grund?“, mosert mich der Ruderhut an. „Lass mich in Ruhe!“, keppel ich zurück, „Ich will mich hier in aller Beschaulichkeit wegschießen und du willst in einer Tour nichts als ‚Steuer auf!‘, ‚Back auf‘, ‚Steuer auf!‘! Welche rosa Boje überhaupt…?“ Der folgende Notstopp rettet einer Schwimmerin vielleicht sogar das Leben, jeden Tag eine gute Tat, der Ruderhut sollte zu den Pfadfindern gehen. Der unter Druck gesetzte Vierer vor uns nutzt allerdings die Gelegenheit und entwischt wieder ein Stück. Doch so knapp vor dem Ziel ist mit langjährigen Damen und Herren Kaderruderern auch dann nicht mehr zu spaßen, wenn sie sich eigentlich einen Kurzurlaub vorgenommen hatten. „Go for home! Go for home!“ – Nikolaus bekommt sehr deutlich gesagt, was er zu tun hat. Den vier Herren vor uns – neben uns – hinter uns – gefällt es sichtlich gar nicht, dass unser Mittelschiff mehr Watt in Vortrieb umsetzen kann als sie. Es nützt aber nichts – im Ziel haben wir das gesamte Feld entweder abgehängt oder überrudert. Schön!

The Fab Four – Große Freude, zweifelhafte Schuhmode, Durst (siehe Bild)

Epilog:

Das ging erstaunlich leicht.

„We saved the swimmer’s life. And I regret it already!”

Unsere Art zu rudern führt bei uns allen zu Schmerzen in den hinteren Oberschenkeln.

Der Wörthersee ist immer zum Baden gut.

Yvonne vertilgt einen Grillteller, der ungefähr ihr halbes Körpergewicht haben dürfte.

Die roten Merinoshirts mit dem weißen Stern finden Bewunderer.

Wir kommen drauf, dass unsere Kinder in Summe einen Mädchen-Achter mit Steuerfrau ergeben könnten.

Bei der Siegerehrung bekommen wir irrtümlich die rostige Skulptur für den schnellsten Vierer überreicht, dann aber doch nicht, weil wir kein reines Vereinsboot sind – egal, die Fotos sind im Kasten.

Heather ist da schon wieder über alle Berge. Es sollte ja tatsächlich ein Kurzurlaub werden.

Yvonne, Nikolaus, nicht Heather, die falsche Skulptur, Richard – teils in ziemlich feschen T-Shirts

Richard, September 2023